Familie Heinrich Teitelbaum

Heinrich Teitelbaum wurde am 17.04.1890 in Obljassy (Polen) geboren. Er war der Sohn von Jankel Itzek Teitelbaum und dessen Frau Feige Mandelbaum. Heinrich Teitelbaum heiratete am 16.03.1913 die Tochter von Wolf und Rachel Lisel Menaszes, Laura Menaszes. Laura (oft auch Lara) wurde am 22.01.1895 in Wien geboren.

Laura Teitelbaum
Laura Teitelbaum

Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor.

  • Alfred Teitelbaum *05.12.1913 in Wien     
    Alfred war gelernter Metzger und hat sich am 01.04.1934 nach München abgemeldet. Noch im selben Jahr heiratet er Erna Elias. Am 20.08.1934 emigrieren sie nach Palästina.
  • Max Teitelbaum *13.02.1918 in Gunzenhausen
    Max war gelernter Automechaniker und arbeitete zuletzt als Gärtnerpraktikant. Am 10.08.1935 zog er nach München und emigrierte am 19.01.1937 auch nach Palästina.

Diese Informationen kamen am 03.11.2000 von Tobias Weger, Stadtarchiv München

Links: Haus Hospet 1 (heute), Rechts: Haus Gerberstraße 11 (heute)

Die junge Familie war am 03.07.1914 von Fürth nach Gunzenhausen gekommen. Hier zogen sie mehrmals um: Ihr erste Wohnung in der Hospet 1 hatten sie von Andreas Horrelt gemietet.

Heinrich Teitelbaum war von Beruf Kappenmacher und hatte sein eigenes Mützen- und Hutgeschäft im Anwesen Gerberstraße 11, direkt neben dem Bäcker Linse, von dem sie die Geschäftsräume gemietet hatten. Doch schon 1920 übergab er den Laden an Dora Strauß. In diesem Jahr meldete er neben dem Hutgeschäft auch die Reparaturwerkstatt als Gewerbe ab. Es ist nicht genau bekannt wann, aber er muss die Stadt kurz danach verlassen haben, um in Wien als Hutmacher zu arbeiten.

Haus Marktplatz 48
Haus Marktplatz 48

Ab 1928 wohnte Laura mit ihren beiden Söhnen am Marktplatz 48 bei der Familie Rosenfelder zur Miete. Schon fünf Jahre später wurde diese Adresse umbenannt in Adolf-Hitlerplatz 48. Das Nazi-Regime hatte begonnen, dessen Auswirkungen auf die Juden die Familie Teitelbaum in den Anfängen hautnah miterleben musste.

In den Spruchkammerakten fanden wir eine Aussage von Max Teitelbaum zu den Ereignissen am 25. März 1934, dem „blutigen Palmsonntag“ in Gunzenhausen.

Teitelbaum Max, Autoschlosser
Gunzenhausen, Adolf-Hitler-Platz 48

Zur Sache gehört, gab an:
Ich wohne bei meiner Mutter im Anwesen des Sigmund Rosenfelder. Am 25. März 1934 gegen 13 Uhr kam der mir persönlich bekannte Kurt Bär vor das Haus unserer Wohnung und machte die Haustüre auf. Dabei rief er die Tochter Fränzi Rosenfelder und sagt dieser, sie möchte ihren Vater holen. Als dieser kam, sagte Bär:

„Wir essen und trinken Schnaps und hängen die Juden auf.“

Daraufhin ging er fort. Gesehen aber habe ich den Bär nicht, wohl aber genau gehört und auch erkannt. Ob er in Uniform war, weiß ich nicht.

Ich kam im Laufe des fraglichen Nachmittags nicht aus dem Hause und ich und meine Mutter gingen gegen 19.30 Uhr zu Bett. Gegen 22 Uhr hörte ich das Schreien mehrerer Personen, wodurch ich vom Schlaf erwachte. Es wurde gerufen:
„Raus mit den Juden, raus mit dem Rosenfelder.“

Ich stand deshalb auf, auch meine Mutter. Unsere Wohnung befindet sich im Erdgeschoss und ich habe von hieraus durch das Fenster gesehen, nachdem ein Fensterladen von der Menschenmenge abgehoben war, dass etwa 80 Mann draußen waren, welche fortgesetzt die erwähnte Äußerung u.a. schrieen. Ich zog mich an und meine Mutter wollte mich zur Polizei schicken, was ich ablehnte  infolge der Aussichtslosigkeit. Unterdessen kamen die Leute von der hinteren Haustüre, die nicht versperrt war, herein und gingen in die Rosenfeldersche Wohnung im ersten Stock. Rosenfelder war aber nicht hier und die Leute kamen wieder zurück. Sie begaben sich von innen an die noch verschlossene Haustüre, sprengten diese gewaltsam auf, was sie dazu benutzten, weiß ich nicht, und ließen die vor dem Hause stehenden Personen ein. Einige von diesen Leuten, unter ihnen Herrmann, Bäckersohn, Bertelshofer, Maurergehilfe, Senft, Schneidergehilfe, Schneider von der Ansbacherstraße, Ganser vom Spezereigeschäft, Bertold, Gärtnergehilfe. Ob diese Leute von der hinteren Haustüre eindrangen, habe ich nicht gesehen, ich weiß auch nicht, wer die Haustüre aufgesprengt hat. Unter den genannten Personen waren etwa drei in SA-Uniform.  Ob vom Arbeitsdienst welche dabei waren, habe ich nicht gesehen. Der Anführer derjenigen, die an unsere Küchentüre kamen, war Bertelshofer, weil dieser vorausging und schrie: „Da ist noch eine Türe, da gehen wir hinein.“ Auf dieses hin folgten ihm die Anderen und holten mich heraus. Besonders hervorgetan hat sich auch der Bäcker Herrmann. Die oben erwähnten Personen sagten als sie mich trafen: „Was wollen wir denn mit diesem machen?“ Doch Herrmann sagte: „Jawohl der muss mit.“ Er sagte, ich solle mich gar nicht anziehen und er ging mit mir bis an die Haustüre. Die Begleiter des Herrmann waren in unserer Wohnung zurück geblieben und ich habe sie nicht mehr gesehen. Auch an der Haustüre kam Kutter, Schlossergehilfe bei Loos auf mich zu und forderte mich auf, mitzugehen, was ich ohne Weiteres machte. Er führte mich in das Gefängnis, die Menge blieb zurück. Bei meiner Abführung waren viele Personen immer noch vor dem Haus. Sie verhielten sich aber ruhig. Das Geschrei dauerte an der Straße nur so lange, bis sie ins Haus konnten, dann war Ruhe, meine Mutter wurde ohnmächtig, geschehen ist ihr weiter nichts. Ich selbst wurde auch nicht geschlagen, auch nicht beleidigt.

Im Gefängnis hat mich der mir bekannte Kaiser in Empfang genommen und sagte dabei zu mir: „Es ist deines Bruders Schuld und der des Rosenfelder.“  Ich wurde dann zu den anderen Häftlingen geführt. Es wurde von demselben mein Name aufgeschrieben. Von hier aus kam ich in eine Gemeinschaftszelle.

Von den amtierenden Personen erkannte ich den Scheiderer und den Kaiser und auch noch den Bär ...
Scheiderer bekam von Karl Bär den Befehl, das Auto vorfahren zu lassen und zu tanken, was Scheiderer auch ausführte und den Vollzug meldete.

Ich hatte den Eindruck, als wenn diese Aktion berechtigt war. Das jemand im Gefängnis geschlagen oder sonst misshandelt wurde, habe ich nicht gesehen.

Ich wurde gegen 22:30 Uhr eingeliefert und am Montag um 22:00 Uhr (26.03.1934) von Herrn Obersturmbannführer Karl Bär wieder entlassen. Er sagt mir dabei, ich solle für die Zukunft keine Veranlassung zu einem Streit geben.
g.b.u.u.
gez. M. Teitelbaum

Laura und Heinrich Teitelbaum ließen sich 1934 scheiden. Ab 1936 lebte sie in der Krankenhausstraße 4 bei Familie Knoll.

In einem kurzen Bericht in der Tageszeitung 'Altmühl-Bote' stand am 14.03.1930 eine interessante Meldung.

Die polnische Staatsangehörige Frau Laura Teitelbaum, die seit 15 Jahren in Gunzenhausen ansässig ist, stellt für sich und ihre beiden Söhne Antrag auf Einbürgerung. Nachdem Erinnerungen hiergegen von keinem Standpunkt aus bestehen und die Einkommensverhältnisse geregelt sind, beschließt der Stadtrat, das Gesuch befürwortend weiterzuleiten. Gegen die Einbürgerung stimmten die beiden nationalsozialistischen Stadtratsmitglieder Bär und Keller.

Am 11.08.1937 wanderte Laura Teitelbaum, geb. Menaszes, nach New York aus.

Quelle: Stadtarchiv Gunzenhausen

 

Bisher wussten wir nichts über das weitere Schicksal der Familie, doch im Juni 2023 haben uns zum ersten Mal Nachfahren von Heinrich und Laura Teitelbaum besucht.

Hier stehen sie vor dem Haus in der Hospet 1, in dem Max Teitelbaum 1918 geboren ist.

Rachel Tamari Chester, die Enkeltochter von Max Teitelbaum, kam zusammen mit ihrem Mann Luis Rodriguez. Sie leben zusammen mit den beiden Kindern Kaya und Aiden aus Rachels erster Ehe in Florida und in New York. Aufgewachsen ist sie in New York, als Tochter von Yehuda Tamari, dem einzigen Sohn von Max Teitelbaum. Sie hat noch drei Brüder.

Von ihr erfuhren wir etwas mehr über die Geschichte der Familie.

Ihr Vater Max und dessen Bruder Alfred waren die Söhne von Heinrich und Laura Teitelbaum, die sich 1934 scheiden ließen. Heinrich war schon vorher nach Wien verzogen und arbeitete dort weiterhin als Hutmacher. Er soll vor allem Pelzmützen hergestellt haben.

Laura und die beiden Söhne blieben in Gunzenhausen und sie musste nun allein für die Familie sorgen. Als sie am Marktplatz 48 bei der Familie Rosenfelder zur Miete wohnten, konnte sie in deren Geschäftshaus putzen. Allerdings erledigte sie für etliche andere Geschäftsleute in der Stadt die Buchhaltung. Diesen Beruf hatte sie ursprünglich in Wien gelernt.

Sie fand hier auch einen neuen Lebensgefährten, David Krämer, den sie heiratete. Mit ihm zusammen emigrierte sie 1937 nach New York. Auch dort arbeitete sie als Buchhalterin – in der großen Zigarettenfabrik Philipp Moris.

Ihre beiden Söhne gingen nach Israel, Alfred schon 1934.

1935 ist Max mit erst 17 Jahren nach München gezogen und wurde dort in einer zionistischen Jugendgruppe auf die Arbeit in Israel vorbereitet. Das brachliegende Land in Palästina sollte von ihnen urbar gemacht werden. Deshalb seine Ausbildung als Gärtnerpraktikant, denn nur praktische Arbeiter waren gesucht.

Nachdem er 1937 nach Palästina emigrieren konnte, lebte er in einem Kibbuz, um gemeinsam das Land zu bewirtschaften. Dort lernte er in der zionistischen Jugendgruppe die junge Frieda aus Riga kennen.

Sie heirateten und bekamen ihren einzigen Sohn: Yehuda. Dieser wurde im Kibbuz aufgezogen. Eltern konnten dort ihre Kinder nur einmal am Tag kurz sehen, denn diese lebten und schliefen im ‚Kinderhaus‘. Sie waren Eigentum der Gemeinschaft und sollten von der auch erzogen werden – so die Formulierung von Rachel.

Max arbeitete als Kapitän auf einem Fischerschiff.

Er hatte in Israel seinen Namen von Teitelbaum in Tamari geändert, was die gleiche Bedeutung haben soll. Teitelbaum ist eine mittelhochdeutsche Variante für Dattelbaum, in Hebräisch Tamari.

Als Yehuda 14 Jahre alt, schrieb Laura, die Mutter von Max, dass sie schwer erkrankt sei und er doch dringend mit seiner Familie zu ihr in die USA ziehen solle.

Schweren Herzens verließ die junge Familie Israel und zog in die USA. Laura war allerdings gar nicht so krank, sie hatte nur ihre Kinder bei sich haben wollen und lebte noch viele Jahre.

Max baute sich in New York ein Haus fränkischen Stil, das er auch so anstrich – gelb mit grünen Fensterläden.

Sein Sohn Yehuda studierte dort und wurde Ingenieur für Medizintechnik. Er entwickelte wichtige Maschinen für die Versorgung von frisch operierten Herzpatienten, bzw. für die Operation am offenen Herzen.

Inzwischen besitzt er dafür neun internationale Patente.

Seine Frau war Professorin in New York. Im Ruhestand wurde sie Rabbinerin. Das Ehepaar hatte vier Kinder, darunter die Tochter Rachel, die uns jetzt in Gunzenhausen besucht hat.

Rachel ist Diätassistentin, bzw. entwickelt Ernährungspläne für Menschen mit Diabetes oder anderen Krankheiten. Außerdem ist sie Künstlerin – jüdisch inspirierte Kunst. Sie fertigt kunstvolle Papierschnitte.

Ihr Mann Luis Rodriguez ist IT Manager in New York.

Alfred, der zweite Sohn von Laura Teitelbaum, soll lt. Erzählungen seiner Tochter Miriam ein Rebell gewesen sein, der schon in Gunzenhausen vor den Nazis hatte fliehen müssen, weil er sich mit ihnen angelegt hatte. Schon eine Woche nach dem Palmsonntagspogrom 1934 meldete er sich nach München ab.

Dort hat er zusammen mit einem Freund im Rathaus die Listen mit den Namen der Juden verbrannt.

Also musste er schon 1934 auch von dort fliehen. Er ging mit seiner jungen Frau nach Palästina. Emigrierte allerdings von dort schon bald nach New York.

Rachel schrieb uns nach dem Besuch eine Mail:

... Ich möchte Ihnen für die Zeit und Sorgfalt danken, die Sie in unseren Besuch in Gunzenhausen investiert haben. Von der wunderbaren privaten Führung durch die Stadt, bis hin zu der Freundlichkeit, die Sie und Ihr Mann gezeigt haben, als Sie uns Ihr Zuhause geöffnet haben. Darüber hinaus überraschte uns Anita (Meyerhuber) mit der Geschichte und den Geschichten, die sie erzählte. Was für eine schöne Erinnerung werde ich immer haben!

Ich finde keine Worte, die Ihnen die Tiefe meiner Wertschätzung genau zum Ausdruck bringen könnten. Ihr Respekt vor der jüdischen Geschichte von Gunzenhausen wird durch Ihre Hingabe, Ihr Engagement, Ihre harte Arbeit und Ihren unermüdlichen Einsatz für das Studium und die Hervorhebung des Judentums (als Ganzes) als einen äußerst wichtigen Teils der Geschichte deutlich. ...