Familie Sigmund Wertheimer

Der Kaufmann Sigmund Wertheimer wurde am 08.08.1872 in Kippenheim als Sohn von Josef Wertheimer und Mina, geb. Epstein geboren. Am 02.11.1897 heiratete er in Eichstetten die 25-jährige Ernestine Epstein, Tochter des Kaufmannes Heinreich Epstein und dessen Frau Rose, geb. Burger. Ernestine wurde am 16.09.1872 in Eichstetten am Kaiserstuhl geboren.

Das junge Ehepaar lebt zunächst in Kippenheim, wo am 16.03.1899 der einzige Sohn Hugo zur Welt kommt. Danach müssen sie nach Straßburg verzogen sein, denn von dort ziehen sie 1920 nach Gunzenhausen.

Warum die Familie nach Gunzenhausen zieht, konnten wir nicht herausfinden, doch eine andere Familie Wertheimer wohnt schon seit 1778 in der Stadt (Bahnhofstraße 35). Ob verwandtschaftliche Beziehungen zueinander bestanden, war nicht festzustellen.

Hier wohnen sie zunächst in der Seckendorffstraße 3 und betreiben einen Großhandel. 1924 wird Sohn Hugo Mitinhaber. Das Geschäft heißt nun Wertheimer & Co.

Seckendorffstraße 3
Seckendorffstraße 3

Im Jahr 1930 erwirbt Sigmund Wertheimer das Haus in der Bühringerstraße 20 und eröffnet dort ein Geschäft als Kleinfutterstoff-Grossist. Doch noch im selben Jahr verkauft er es wieder an den Mechaniker Ludwig Däubler.

Der Sohn Hugo heiratet am 29.03.1932 Dora Strauß, geb. am 06.08.1903 in Schwäbisch Hall. Offensichtlich lebt das Ehepaar in Straßburg, doch ein gutes Jahr später, am 08.11.1933, ziehen sie von Straßburg nach Gunzenhausen und wohnen hier in der Burgstallstraße 14 bei Familie Walz in Miete.

Burgstallstraße 14
Burgstallstraße 14
Krankenhausstraße 10
Krankenhausstraße 10

Doch schon am 07.01.1934 wandern sie nach New York aus.

Die Eltern wohnen ab 1934 einige Häuser weiter in der Krankenhausstraße 10 bei Familie Bergmann in Miete.
Sie ziehen zwei Jahre später in die Seckendorffstraße 2, dem Haus der Familie des Bankiers Justin Gerst.

Bis 1938 bleibt Sigmund Wertheimer mit seiner Frau in Gunzenhausen, obwohl sie schon am 25. März 1934 schlimme Erfahrungen in Gunzenhausen machen mussten.

Seckendorffstraße 2
Seckendorffstraße 2

Aussage eines Zeugen, der am Pogrom des 25. März 1934 in Gunzenhausen beteiligt war:
... Als nun B. und andere die Juden der Menge zum Abtransport übergeben hatten, sagte B., dass es jetzt zu Wertheimer gehe. Auf diese Aufforderung hin ging ich, sowie noch einige, die ich namentlich nicht kenne, der Menge voraus an das Anwesen des Wertheimer in der Bühringerstraße. Auf dem Weg dorthin haben ich sowie die anderen und auch die Menge fortgesetzt geschrien: „Die Juden müssen raus!“ Vor dem Anwesen des Wertheimer blieb ich zunächst auf der Straep verh. Kaufmann, jüd. deutscher Staatsangehöriger, wurde eingel. am 25.3.34 nachm. 11 Uhr ...
Auszug aus den Spruchkammerakten vom August 1934 © Staatsarchiv Nürnberg

Erst am 30.11.1938 meldete sich das Ehepaar nach Karlsruhe ab. Gerade noch rechtzeitig einen Tag vor der Deportation jüdischer Männer nach Dachau.

Laut Richard Lesser aus Karlsruhe zogen Sigmund und Ernestine zogen 1939 nach Karlsruhe. Von hier aus wurde das Ehepaar 1940 nach Gurs deportiert. Sigmund starb am 11.05.1941 im französischen Lager Les-Milles, Bouches-du-Rhone, während Ernestine nach New York zu ihrem Sohn ausreisen konnte, wo sie am 29.05.1943 starb.

Der Sohn Hugo und seine Frau haben beide ein biblisches Alter erreicht! Hugo starb am 14.02.1997 in Montclair, New Jersey, mit fast 98 Jahren und Dora am 02.05.2006, d.h. im Alter von 102 Jahren!

Ab 1937 befand sich in dem Haus in der Bühringerstraße 20 das Notariat unter Dr. Georg Scherm, der es 1950 auch erwarb. Mit seinem Namen sind alle Kaufverträge unterzeichnet, die den Besitzerwechsel jüdischer Häuser während der Zeit des Dritten Reiches dokumentieren.

Heute ist das Haus im Besitz von Familie Fucker. Im Erdgeschoss befindet sich das Architekturbüro des Architekten Hartwig Werner.