Bankiersfamilie Jakob Gerst

Das Geldgeschäft in Gunzenhausen wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts v. a. von den Brüdern Kromwell in der Mariusstraße 5 betrieben.

1864 eröffnete der Kaufmann und Tuchhändler Jakob Gerst in der Rathausstraße 8 das gleichnamige Bank- und Wechselgeschäft. Das Anwesen erbte er dann 1868 von seiner Tante Elka Stettheim, der Frau von Model Abraham Stettheim, da das Ehepaar kinderlos geblieben war.

Verheiratet war Jakob Gerst mit Theresia Gutmann aus Eigenhausen. Das Ehepaar hatte einen Sohn:

  • Moritz *17.04.1866 in Gunzenhausen
Natalie Gerst © Stadtarchiv Gunzenhausen
Natalie Gerst © Stadtarchiv Gunzenhausen

Am 20.08.1895 heiratet Moritz Gerst Natalie Grünsfelder aus Michelbach.
Sie haben zwei Kinder:

  • Justin Jakob *16.09.1896 in Gunzenhausen
  • Hilda * 30.11.1897 in Gunzenhausen

Hilda heiratet den Weingroßhändler Jakob Liebenstein aus Mainz und lebt dort.

Moritz Gerst übernimmt 1897 das Bankgeschäft und betreibt es bis zu seinem Tod am 21.11.1929.
Die Witwe Natalie und der Sohn Justin führen das angesehene Bankhaus weiter.


Justin heiratet 1925 Else Wolff aus Grießheim bei Darmstadt. Ab 1926 ist er im Ausschuss der Israelit. Kultusverwaltung, ab 1932 als Kassier und 1938 zusammen mit Hugo Walz einer der letzten Vorsteher der Kultusgemeinde. Deshalb zeichnete er auch am 08. November 1938 als Verkäufer der Synagoge an die Stadt Gunzenhausen verantwortlich.

Zunächst wohnt das Ehepaar bei Lehrer Netuschil in der Seckendorffstraße zur Miete. Später ziehen sie um in das Haus Seckendorffstraße 2, das ihre Bank aus der Konkursmasse der Familie Seeberger übernommen hat.

Wohnhaus der Familie Gerst in der Seckendorffstraße
Wohnhaus der Familie Gerst in der Seckendorffstraße

Das Ehepaar hat zwei Töchter

  • Therese Trudel * 26.01.1926 in Gunzenhausen
  • Hannelore Regina * 08.07. 1929 in Gunzenhausen
Therese Trudel Gerst © Stadtarchiv Gunzenhausen
Therese Trudel Gerst © Stadtarchiv Gunzenhausen

Im Januar 1936 bekommt die Familie von Justin Jakob Gerst eine Strafanzeige wegen Verstoßes gegen das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre, denn die Familie hatte eine christliche Hausangestellte beschäftigt.

Am 17.11.1938, dem Tag, an dem die Kuppeln der Synagoge in Gunzenhausen gefällt werden, hat Natalie Gerst ihr Wohn- und Geschäftshaus in der Rathausstraße 8 für 9.000 Mark an die Stadtgemeinde Gunzenhausen verkauft.
Einen Tag später wird das Bankhaus in der Rathausstraße, laut Eintragung im Amtsgericht Ansbach, aufgelöst. Das Vermögen geht an das deutsche Reich und wird von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) Darmstadt, Außendienststelle Mainz, am 22.09.1942 eingezogen.


Die Witwe Natalie Gerst wandert mit ihrem Sohn Justin und dessen Familie am 30.11.1938 über Mainz nach Nordamerika aus, wo sie in Los Angeles leben.

Eine Zeitzeugin erinnert sich an den Bankangestellten Pfabel, der nach der Auflösung des Bankhauses Gerst Direktor der Sparkasse Gunzenhausen geworden ist.

Quelle: Personendokumentation der jüdischen Einwohner von Gunzenhausen, zusammengestellt von Stadtarchivar Werner Mühlhäußer

Hilda Gerst, die Schwester des Bankiers Justin Gerst, war verheiratet mit Jakob Liebenstein aus Mainz. Wohl deshalb ist Justin Gerst mit seiner Familie und der Mutter Natalie über Mainz in die USA ausgewandert. Sie haben möglicherweise dort auf den Tag ihrer Ausreise gewartet, denn sie waren in der Rheinallee 13 gemeldet.

Hilda und Jakob waren offensichtlich in Mainz geblieben und begingen dort einen Tag vor ihrer Deportation im September 1942 Suizid. Sie wurden auf dem jüdischen Friedhof beerdigt.

Auf dem neuen jüdischen Friedhof in Mainz „Heiliger Sand“ wurde im Nachhinein u.a. auch ihr Name angebracht.

Ihr einziger Sohn Louis, der offenbar schon vorher in die USA hatte emigrieren können, lebte dort bis 1999 als Louis Lipton. Während des Krieges und danach war er als GI in Deutschland.

Justin Gerst soll nach dem Krieg noch einmal in Gunzenhausen gewesen sein.

Aus dem Jahr 2007 existiert eine kurze Notiz im Friedhofsbuch von Dr. Raphael Bloch. Da vor etwa 20 Jahren schon einmal eine Enkeltochter der Familie Gerst namens Wendy Bloch hier in Gunzenhausen war, vermuten wir eine  verwandtschaftliche Beziehung. Leider haben wir keinen der beiden Gäste persönlich getroffen, so dass wir uns sehr freuen würden, wenn sie sich nocheinmal bei uns melden könnten.

Notiz im Friedhofsbuch

Protokoll der Einvernahme von Justin Gerst im Amtsgerichtsgefängnis Gunzenhausen
Gerst Justin (verheiratet, Bankier, 37 Jahre)
Gunzenhausen, Hensoltstraße 4
 
Zur Sache gehört, gab an:
Meine Familie ist seit dem Jahre 1450 nachweislich in Gunzenhausen ansässig, auch ich bin in Gunzenhausen geboren. Ich war zwei Jahre im Feld und nach dem Krieg bis Ende November 1919 in englischer Gefangenschaft. Ich habe im Jahre 1922 mein väterliches Bankgeschäft übernommen, das ich seitdem als Teilhaber betreibe. Ich kann mir nicht denken, dass ich in Gunzenhausen jemand unrecht getan habe. Ich glaube nicht, dass Beweise des Gegenteils angetreten werden können. Letztere Angaben möchte ich den Angaben über den Vorfall am 25. März 1934 vorausgeschickt haben.

Ich wollte am kritischen Tage ausgehen und zwar ins Café Waldmann. Unterwegs rief mich Frau Rindsberg (Hensoltstraße 6) von ihrem Fenster aus an, dass es in der Stadt etwas gegeben habe und es wäre besser, wenn ich schließlich nicht ausgehe. Deshalb ging ich zu Rindsberg, wo ich mit Herrn Rindsberg und Herrn Levite bis gegen 21:30 Uhr Karten spielte. Zu dieser Zeit war von der Straße her Gejohl  und Geschrei wahrzunehmen und ich hörte Rufe wie „Rosenau, Judensau“ , „raus muss der Jud“ u. ä. Wir haben in der Wohnung der Rindsberg die Lichter ausgemacht und die Menge ging wieder weg, nachdem zuvor öfters an die Haustüre vom Anwesen der Rindsberg geschlagen worden war. Nach etwa 20 Minuten kam die Menge wieder und es entstand ein Schlagen an die Haustüre. Dabei wurde wieder laut gejohlt und geschrien in der vorgenannten Weise. Bemerken muss ich hierzu, dass ich zu dieser Zeit die Menge noch nicht gesehen habe. Die Eheleute Rindsberg, Levite und ich gingen auf den Speicher, um uns zu verstecken. Hier hörten wir, wie die Türen mit einem Krach nachgaben und eingedrückt wurden. Die Menge stürmte die Treppe herauf und wir gingen die Treppe herunter, weil ein Verstecken zwecklos erschien. Von den nun uns entgegenkommenden Menschen hab ich den Kunstmaler Michael Hertlein, Friseur Kurt Hennig und den früheren Badewärter Barthel gekannt. Ich kann nicht sagen, was diese mir bekannten Leute weiter gemacht haben, ich habe sie eben gesehen, wie sie die Treppe herauf kamen und in den Vorplatz zur Rindsberg’schen Wohnung gingen. Die Eindringlinge können etwa 20 – 30 Personen gewesen sein. Auch hier wurde gerufen, dass da wieder ein Jude sei, der wird auch mitgenommen. Ich kam dann auf die Straße, weiß aber nicht wie und wurde von hier aus durch Barthel und den Hauptwächter Beck der Gendarmerie zum Gefängnis gebracht. Auch der Schutzmann Hummel war in der Nähe. Auf dem Weg zum Gefängnis hat der mir bekannte Haussler sehr laut geschrien: „Der hat genug Leute ausgeschmiert!“ u. a. Er wollte damit zweifellos die Leute gegen mich hetzen und hatte auch in soweit Erfolg, als auf mein Schreien hin mehrere Personen auf mich eindringen wollten, die aber von meinen Begleitern und auch von mir abgehalten werden konnten. Durch das Schreien des Haussler geriet die Menge immer erneut in Aufregung, was Haussler meines Erachtens bestimmt wollte und auch erreichte.

Ich kam dann ins Gefängnis, wurde dort von H. Kaiser und Kurt Bär empfangen, auch H. Schneider war dabei, sowie weitere Personen, die ich nicht kannte. Der Gefängnisverwalter führte mich und Levite in eine Zelle. Kaiser sagte zu mir, bevor ich in die Zelle kam, ich solle das machen, was der Kurt Bär von mir verlange, ich sollte nicht widerspenstig sein. Bald darauf kam dann der Kurt Bär und ließ mich und Levite exerzieren. Er kommandierte: „Hände an die Hosennaht, hinlegen, Hacken zusammen beim Hinlegen, aufstehen, knien, aufstehen, hinlegen“ und ließ diese Übungen, die von uns beiden ohne Widerspruch ausgeführt wurden, öfters wiederholen. Ich habe dies unter dem Zwange der Verhältnisse getan und mich der Gewalt gefügt. Nach dem Exerzieren gab er uns beiden eine Zigarette und wünschte uns im Hohn, wohl zu ruhen. Aufgefallen ist mir ein Wortwechsel zwischen Scheiderer und Kaiser bevor ich in die Zelle gebracht wurde. Kaiser sagte, dass er dafür keine Verantwortung übernehme. Was er damit meinte, weiß ich zwar nicht, hatte aber den Eindruck, als wenn damit die Aktion gemeint wäre. Scheiderer sagte darauf: „Die Verantwortung übernehme ich!“ Gesehen habe ich, dass sowohl Bär als auch Kaiser öfters die Zellen aufgesperrt und wieder verschlossen. Schlüssel habe ich jedoch bei ihnen nicht gesehen, ich habe auch nicht darauf geachtet. Schutzmann Fuchs legte mir im Gefängnis, wie auch allen anderen Schutzhäftlingen, ein von Bürgermeister Dr. Münch ausgefertigtes Schriftstück des Inhaltes vor, dass die jüdischen Geschäfte bis auf weiteres zu schließen seien.

Sonst habe ich keine Angaben zu machen. Meine Entlassung erfolgte am Montag Abend um 21:30 Uhr durch Obersturmführer Karl Bär mit der Mahnung nicht zu provozieren. Wegen der Äußerung des Haussler stellte ich gegen diesen wegen Beleidigung keinen Strafantrag.

Richtig ist, dass ich am Dienstag, den 27.03.1934, mit Rechtsanwalt Dr. Landenberg in Nürnberg ein Telefongespräch hatte und zwar deshalb, weil ich Vorstand der israelitischen Kultusgemeinde Gunzenhausen bin und deshalb mit Dr. Landenberger über die Freilassung der Schutzhäftlinge Eugen Joelsohn aus Madrid und Julius Strauss sprach. Ich habe von Landenberger dabei erfahren, dass Joelsohn unterdessen entlassen werde, was ihm von Dr. Schultze zugesagt wurde. Mit Joelsohn selbst habe ich nicht mehr gesprochen. Weiter kann ich nichts angeben.
v.g.u.u. gez. Gerst
 
Auszug aus den Spruchkammerakten vom August 1934
© Staatsarchiv Nürnberg