Geste der Versöhnung: Einladung zur Bat Mitzvah

Synagoge
Synagoge

"Wir laden Sie ein, an unserer Freude teilzuhaben, wenn unsere Tochter Kara Elisabeth als Bat Mitzvah in der Congregation B’nai Jeshurun ... in New York City zur Thora gerufen wird.“ Mit dieser ebenso freundlichen wie außergewöhnlichen Einladung bedachte die jüdische Familie Faye Dottheim Brooks und David Brooks Ersten Bürgermeister Gerhard Trautner, Ingeborg Herrmann, die Leiterin der Volkshochschule, Stadtarchivar Werner Mühlhäußer sowie von der Stephani-Hauptschule Lehrerin Emmi Hetzner, die leider nicht mitreisen konnte, und den früheren Rektor Franz Müller.

Wie kam es zu dieser Einladung? Faye Dottheim Brooks Vorfahren stammen aus Gunzenhausen. Ihr Urgroßvater, Heinrich Dottenheimer, erbaute im Jahr 1900 das Haus Burgstallstraße 1 und führte dort die „Dottenheimersche Weinhandlung Gunzenhausen bei Würzburg“. Die Großeltern Sigmund und Frieda, geb. Reinhard aus Gerolzhofen, führen das Geschäft bis 1933 weiter. Das Ehepaar hat vier Kinder, alle zwischen 1913 und 1923 in Gunzenhausen geboren.

Auf Grund zunehmender Diskrimierung gibt die Familie 1933 das Geschäft auf. Nachdem Sigmund Dottenheimer und sein zweiter Sohn Kurt Moses 1938 vorübergehend in das KZ Dachau deportiert worden waren, verzieht nach Frankfurt/Main.

Der älteste Sohn Joel Fredi meldet sich bereits 1929 nach Augsburg ab. 1937 gelingt ihm die Emigration in die Vereinigten Staaten, wo er sich in St. Louis/Missouri niederlässt. Die Briefe, die Vater und Mutter zwischen 1938 und 1941 von Gunzenhausen und Frankfurt aus an den Sohn nach Amerika schreiben, sind erschütternde Dokumente des verzweifelnden Bemühens, ebenfalls auf irgendeine Weise in ein anderes Land zu emigrieren. Letztendlich scheitert die Familie an 1100 Dollar für Visagebühren, die nicht aufgebracht werden konnten. Die brutale Folge war der Tod in Konzentrationslagern. Heinrich kommt mit 88 Jahren im KZ Theresienstadt um. Sigmund und seine Frau Frieda sind im KZ Auschwitz verschollen. Werner Hermann stirbt mit 19 Jahren im KZ Majdanek. Kurt und Irene werden ab 1945 für tot erklärt, da niemand weiß, wo sie umgekommen sind.

Als einziges Mitglied der jüdischen Familie Dottenheimer überlebt Joel Fredi den Holocaust. Er nennt sich in den USA Dottheim und heiratet die in St. Louis geborene Frieda Holtzman. Das Ehepaar hat zwei Kinder, Steven Robert, der als Anwalt in St. Louis lebt und Faye, unsere Gastgeberin, die jetzt mit ihrem Mann David in Manhatten, also mitten in New York wohnt. Nur wer diese tragische Vorgeschichte kennt, kann die Bedeutung der Einladung als Geste der Versöhnung richtig einschätzen.

Ebenfalls zu Karas Ehrentag eingeladen war Dr. Bernhard Purin, der bisherige Direktor des Jüdischen Museums Franken. In seinem Handgepäck beförderte er das Schmuckstück seiner Fürther Sammlung, ein 300 Jahre altes, vergoldetes Thoraschild. Es befand sich im Privatbesitz der Familie Dottenheimer und zierte einst als Ritualobjekt die Thorarolle der Gunzenhausener Synagoge. In der „Reichskristallnacht“ wurde es aus der Dottenheimerschen Wohnung gestohlen und blieb verschwunden, bis vor etwa 10 Jahren ein Mann im Stadtarchiv Fürth erschien und u. a. zwei Thoraschilder abgab. Er habe sie von seinem Schwiegervater erhalten, dem sie geschenkt worden seien. Es ist Dr. Purin zu verdanken, dass er den Eigentumsnachweis erbringen und vor allem die Nachkommen der rechtmäßigen Besitzer in den
USA ausfindig machen konnte. Selbst in der New York Times erschien im August 2001 ein ausführlicher Artikel über die Odysee dieses Thoraschildes aus Gunzenhausen. Es folgten Besuche der Familie Dottheim Brooks und vor allem in Folge des sehr verdienstvollen Projekts „Jüdisches Leben in Gunzenhausen“, das die Klasse 10 a der Stephani-Volksschule unter Leitung ihrer Lehrerin Emmi Hetzner seit mehr als drei Jahren durchführt, entstanden freundschaftliche Kontakte.

Rolando Matalon, Rabbi der Gemeinde, begrüßte die Besucher aus Gunzenhausen namentlich, erzählte den Gläubigen im Gottesdienst die Geschichte des Thoraschildes, und wies vor allem darauf hin, dass es nach dem Holocaust zum ersten Mal wieder in einer Synagoge seinem ursprünglichen Zweck diene, die Thorarolle zu schmücken. Sichtlich glücklich trug Kara Brooks die in einen dunkelblauen Thoramantel gehüllte und mit dem goldenen Thoraschild ihrer Ururgroßeltern behängte Thorarolle durch die New Yorker Synagoge. Ehrfurchtsvoll wurde sie in traditioneller Weise von den Gläubigen mit den Fingern berührt, die dann zum Kuss an den Mund geführt werden.

Als Höhepunkt der Feier hatte Kara als Bat Mitzvah, als Tochter des Gebots und damit als vollwertiges Mitglied der Gemeinde mit allen Rechten und Pflichten, die das Religionsgesetz festlegt, noch eine Aufgabe zu erfüllen. Sie wurde zum ersten Mal zur Thora aufgerufen, hatte die Segenssprüche vor der Gemeinde zu sprechen und vor allem die Wochenperikope zu lesen, natürlich in hebräischer Sprache und Schrift, die sie eigens erlernen musste.

Bat Mitzwah
Bat Mitzwah

Erster Bürgermeister Gerhard Trautner wurde am Schluss des Gottesdienstes von Rabbi Rolando Matalon um ein Grußwort gebeten. Dabei überbrachte er Kara die offiziellen Glückwünsche der Stadt Gunzenhausen zur Bat Mitzvah und bedankte sich bei den Eltern für die Einladung. „Es ist uns bewusst“, fuhr Gerhard Trautner fort, „dass diese Einladung eine großartige Geste der Verzeihung und Versöhnung gegenüber den Bewohnern unserer Stadt und unseres Landes ist, eines Landes, in dem der Familie Dottenheimer großes Unrecht angetan worden ist.“ Die Stadt Gunzenhausen stelle sich der Aufgabe, das Gedenken an die verwerflichen Taten und an die unschuldigen Opfer zu bewahren. Krieg, Verfolgung und Terror sei kein Raum mehr zu geben. „Die Schatten der Vergangenheit zu überwinden, sie aber nicht zu vergessen, sondern als Mahnung zu verstehen, muss unser gemeinsames Ziel sein.“

Die Gottesdienstbesucher spendeten Gerhard Trautner Beifall für diese klaren Worte. Eine ganze Reihe von ihnen suchte auf Deutsch das persönliche Gespräch mit den deutschen Gästen. Niemand konnte sich daran erinnern, dass schon einmal einem deutschen Bürgermeister in dieser Synagoge das Wort erteilt worden wäre.

Tief beeindruckt von alter jüdischer Glaubenskultur in der neuen Welt machte sich die Gruppe wieder auf die Rückreise. Im Handgepäck eine Kostbarkeit, das Thoraschild der Familie Dottenheimer. Es wird zumindest vorübergehend im Museum in Gunzenhausen zu bewundern sein. Einen entsprechenden Vertrag unterzeichneten in New York Faye Dottheim Brooks und ihr Bruder Steven Dottheim als Eigentümer sowie Erster Bürgermeister Gerhard Trautner für die Stadt Gunzenhausen.